Herzfrequenz als Basis
Die durchschnittliche Herzfrequenz eines gesunden Menschen beträgt zwischen 50 und 100 Schlägen pro Minute. Säuglinge und Kinder haben eine deutlich höhere Herzfrequenz (siehe Ruhepuls Normwerte).
Die Ruheherzfrequenz kann durch grippale Infekte mit Fieber erhöht sein: zeitweilig um bis zu 10 Schläge pro Grad Körpertemperatur Fieber.
Die Herzfrequenz kann durch körperliches Training dauerhaft niedriger sein als die Durchschnittspopulation. Ursache dafür ist ein erhöhtes Schlagvolumen. Dieses wird durch eine stärkere Wand des Herzmuskels ermöglicht; somit kann pro Herzschlag mehr Blut transportiert werden. Dadurch sind im Ruhezustand weniger Herzschläge notwendig, um den Körper ausreichend mit Nährstoffen und Sauerstoff zu versorgen. Ausdauersportler weisen Ruheherzfrequenzen von unter 45 Schlägen pro Minute auf.
Neben der Herzfrequenz spielt auch die Herzfrequenzvariabilität eine wichtige Rolle. Mehr dazu später im Artikel.
Anatomische Grundlagen – Reizleitungssystem des Herzens
Das Reizleitungssystem des Herzens ist ein ausgeklügeltes System für die Steuerung der Kontraktion der Herzmuskelzellen und zur Erzeugung der optimalen Herzfrequenz.
Im Herz befinden sich mehrere Erregungsbildungzentren, die die Frequenz vorgeben. Diese bilden das Erregungsleitungssystem. Diese spezialisierten Herzmuskelzellen leiten die elektrischen Impulse zu den Muskelzellen weiter. Das Erregungsleitungssystem besteht aus folgenden Elementen die mit einer definierten Frequenz arbeiten:
- Sinusknoten: 60-80 Erregungen pro Sekunde
- Atrioventrikular-Knoten (AV-Knoten): 40-50 Erregungen pro Sekunde
- His-Bündel: 20-30 Erregungen pro Sekunde
- Linke und rechter Tawara-Schenkel
- Purkinje-Fäden
Der Sinunsknoten wird auch als primärer, der AV-Knoten als sekundärer und das His-Bündel als tertiärer Schrittmacher bezeichnet (dies hat nichts mit den implantieren Herzschrittmachern zu tun). Fällt eines der Zentren aus übernimmt das nächste im Reizleitungssystem die Funktion. Folge ist eine verminderte Herzfrequenz.
EKG-Messung
Am Besten eignet sich ein EKG (Elektrokardiogramm) zur Herzfrequenzvarianzanalyse. Das EKG wird genutzt zur Messung und Aufzeichnung der Erregungsausbreitung im Herzen.
Genutzt wird dabei eine definierte Anzahl an Messelektroden, die zwischen 3 (Einthoven-Ableitung) und 9 (Wilson-Ableitung) liegen kann. Mithilfe dieser Elektroden können die verschiedenen Ableitungen ermittelt werden.
Die Erregungskomplexe im EGK können in unterschiedliche Wellen untergliedert werden:
- P-Welle: Die P-Welle entsteht durch die Erregung in den Vorhöfen bzw. im Sinusknoten
- QRS-Komplex: Der QRS-Komplex entsteht durch die Erregungsausbreitung in den Herzkammern. Er besteht aus 2 negativen Zacken (Q und S) und einem positiven Ausschlag (R-Zacke)
- T-Welle: Die T-Welle entsteht durch die Erregungsrückbildung in den Kammern
Aus den einzelnen Wellen können wichtige Zeitabschnitte wie z.B. die PQ-Zeit oder die RR-Intervalle bzw. RR-Abstand berechnet werden.
Variationen der Herzfrequenz
Beim Betrachten eines EKGs fällt auf, dass die Zeitabstände zwischen zwei Herzschlägen nicht gleich sind – sie sind leicht unregelmäßig, d.h. die Abstände variieren von Schlag zu Schlag. Dieser Aspekt ist essenziell für die Herzfrequenzanalyse, da hier genau diese Abstände gemessen werden (RR-Abstände).
Mithilfe eines EKGs ist eine genaue Darstellung des R-Ausschlages und damit die Berechnung der RR-Intervalle möglich. Lediglich die Pulsuhren im höheren Preissegment beherrschen die Messung von RR-Abständen. Günstigere Pulsuhren berechnen einen Durchschnittspuls und bieten keine Möglichkeit zur RR-Berechnung.
Herzfrequenzvariabilität (HRV):
Das menschliche Herz kann man sich als eine komplexe Pumpe vorstellen, die den Körper mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Je nach Bedarf muss das erforderliche Blutvolumen (cardiac output) angepasst werden. Das autonome Nervensystem mit dem sympathischen und parasymathischen Ast nehmen Einfluss auf die Erregungsbildung im Herzen. Durch diese Regelanpassungen kommt die Herzfrequenzvariabilität zu Stande.
Definition Herzfrequenzvariabilität: Die Herzfrequenzvariabilität beschreibt die Fähigkeit des Herzens, die Frequenz ständig zu verändern und anzupassen.
Diese kleinen Frequenzanpassungen sind ein normaler Prozess und entstehen infolge eines komplexen Regelsystems.
Folgende Faktoren üben einen Einfluss auf die Herzratenvariabilität aus:
- Physische und psychische Belastungen
- Trainingszustand (Fitness)
- Atmung
- Medikamente
- Genussmittel (wie z.B. Nikotin und Koffein)
- Alter
Ohne die Einflüsse des vegetativen Nervensystems würde das Herz mit einer gleichbleibenden Frequenz schlagen – die Herzratenvariabilität würde sehr gering ausfallen.
Abweichungen der Herzfrequenzvariabilität
Die Herzfrequenzvariabilität ist nur in einem gewissen Rahmen physiologisch. Wird dieser Bereich entweder unter- oder überschritten spricht dies für ein pathologisches Geschehen oder für einen Messfehler.
Ursachen für eine zu hohe Herzfrequenzvariabilität
- Mechanische Messfehler: Wackelkontakte können durch mangelhaftes Aufliegen der Kontaktfläche der EKG-Elektroden entstehen. So kann ein Wackelkontakt fäschlicherweise vom EKG-Gerät als Herzschlag interpretiert werden. Häufiger als beim EKG tritt dieser Fehler tritt bei Pulsuhren mit Brustgurt auf. Im medizinischen Bereich wird dieser Messfehler durch das Verwenden von Elektrodengel oder speziellen Klebelektroden reduziert.
- Extrasystolen: Extrasystolen sind häufige Herzrhythmusstörungen die vermehrt im höheren Lebensalter auftreten. Junge sportliche Menschen haben nur vereinzelt Extrasystolen. Meist werden sie gar nicht bemerkt oder lediglich als „Herzstolpern“ wahrgenommen. Bei gehäuftem Auftreten oder Beschwerden sollte jedoch ein Arzt konsultiert werden.
Ursachen für eine zu niedrige Herzfrequenzvariabilität
- Bradykardie: Bradykardie ist der medizinische Fachausdruck für eine verlangsamte Herztätigkeit (unter 60 Schläge pro Minute). Dies muss nicht unbedingt krankhaft bedingt sein. Viele Sportler haben z.B. im Ruhezustand eine deutlich langsamere Herzschlagfrequenz als der Durchschnitt. Sofern die Herzschlagfrequenz unter körperlicher Anstrengung ansteigt, kann eine krankhafte Bradykardie ausgeschlossen werden.
- Übertraining: Eine niedrige HRV kann für ein Übertraining sprechen. In so einem Fall sollte der Sportler kurzfristig auf starke Trainingsintensitäten verzichten.
Kleinste Änderungen der Herzratenvariabilität lassen sich mithilfe einer Spektralanalyse sichtbar machen. Änderungen im vegetativen Nervensystem sind so leicht zu erkennen. Dieses Verfahren wird speziell beim Übertraining als Überwachung eingesetzt. Dies ist eine sehr exakte Messmethode, um die Frequenzanteile, aus denen sich die Variabilität der Herzfrequenz zusammensetzt, festzustellen. Im Ruhezustand kann man beispielsweise ausweisen, wie Atmung und Herzschlag miteinander gekoppelt sind. Die Spektralanalyse ergibt einen eindeutigen Peak (Spitzenwert), wenn Atmung und Herzschlag kohärent sind.
Die 3 Messarten im Detail
Je nach Fragestellung wählt man die für diesen Fall passende Messart. Man kann 3 Messarten unterscheiden:
- Die Ruhemessung,
- die Belastungsmessung und
- die passive und aktive Lageänderung.
1. Ruhemessung
Die Ruhemessung ist die aussagekräftigste und zugleich einfachste Messmethode. Nützlich ist dabei eine Messung zu gleichen Tageszeitpunkten um Verfälschungen durch die zirkadiane Rhythmik, Flüssigkeits- oder Nahrungsaufnahme ausschließen.
Vorteilhaft bei der Ruhemessung ist, dass in Ruhe weniger Fehlmessungen auftreten.
2. Belastungsmessung
Belastungsmessungen werden zur Beurteilung der körperlichen Leistungsfähigkeit durchgeführt. Dabei wird die Messung üblicherweise auf einem Fahrradergometer oder Laufband durchgeführt.
Die unter Belastung gemessenen biometrischen Daten sind für die Leistungsdiagnostik von zentraler Bedeutung. Wichtige Parameter sind:
- die mechanische Leistung,
- die Herzfrequenz,
- die Herzfrequenzvariablität,
- das Schlagvolumen,
- der Blutdruck,
- die Atemvolumina und
- die Sauerstoffaufnahme.
Betrachten wir zunächst die mechanische Leistung: Die Leistung des Patienten bzw. des Sportlers wird dabei in Watt angegeben. Watt entspricht der Energie in Joule in einem bestimmten Zeitabschnitt (J/s). Über mehrere Stunden kann der Körper je nach Trainingszustand eine Dauerleistung zwischen 50 und 300 Watt abgeben, Profisportler können für kurze Momente bis zu 1000 Watt erreichen!
Zur Vergleichbarkeit der erreichten Leistungswerte werden nicht die Absolutwerte in Watt sondern die gewichtsbezogene Leistung genutzt:
Gewichtsbezogene Leistung = Leistung in Watt / Körpergewicht in kg
Profisportler im Radsport machen diese Werte nicht öffentlich, es ist aber davon auszugehen, dass ihre Werte bei > 6 W/kg Körpergewicht liegen.
Generell existieren zwei Modi für die Messung der Belastung:
a) stufenweise Steigerung der Leistung
b) konstante Leistung
a) Stufenweise Steigerung der Leistung:
In der ersten Variante wird mit der Zeit der Widerstand bzw. die abgefragte Leistung erhöht. So wird stufenweise die Leistung erhöht, bis die Abbruchkriterien erfüllt werden.
Bei gesunden Menschen wird die Messung meist bis zur vollständigen physischen Ausbelastung durchgeführt. Physische Ausbelastung bedeutet, dass der Proband die Messung aufgrund von Erschöpfung abbrechen muss oder nicht in der Lage ist, die Leistung weiter zu steigern.
Achtung: Der Stufentest darf nur nach genauer vorheriger medizinischer Untersuchung und nur unter ärztlicher Aufsicht erfolgen. Denn vor allem bei untrainierten und älteren Personen sowie Personen mit Grundkrankheiten können unter starken Belastungen Komplikationen auftreten (Bewusstlosigkeit, Herzinfarkt, Herzrhythmusstörungen, Herzstillstand etc.)
I. Herzfrequenzvariabilitäts- und Lactatkurve:
Besonders aussagekräftig ist die Korrelation zwischen biometrischen Daten und der erreichten Leistung. Idealerweise werden mehrere Messungen über den Zeitraum einer Trainingsperiode durchgeführt und miteinander verglichen. Für den Vergleich unterschiedlicher Athleten ist in jedem Fall eine Normierung auf Watt pro Kilogramm Körpergewicht nötig (siehe oben). Als Zusatzinformation ist eine Lactat-Messung für jede gemessene Leistungsstufe von Vorteil.
II. Herzfrequenzvariabilität unter Belastung:
Die Herzfrequenzvariabilität sinkt mit steigender Belastung während sich die Herzfrequenz erhöht. Dabei liegt die Leistungsgrenze bei körperlicher Ausbelastung (siehe oben). Die Leistungsgrenze wird durch zwei Faktoren maßgeblich beeinflusst:
- die Leistungsfähigkeit des Herzens (das Herz kann nicht mehr Blut zur Muskulatur transportieren) und
- die Leistungsfähigkeit der betreffenden Muskelgruppe (die Skelettmuskulatur kann die Kraft nicht steigern oder halten).
Bei gesunden Menschen ohne Herzrhythmusstörungen ist eine niedrige Herzfrequenz in Kombination mit einer hohen Herzratenvariabilität als positiv zu bewerten.
b) Konstante Leistung:
Bei der 2. Variante mit konstanter Leistung wird der Widerstand bzw. die absolvierte Leistung am Ergometer / Laufband über die gesamte Messdauer konstant gehalten. Der Körper des Patienten / Sportlers passt sich dann je nach Trainings- bzw. Allgemeinzustand der Vorgabe an.
Das Messprotokoll mit konstanter Leistung wird in der Leistungsdiagnostik selten angewendet, da der erforderliche Zeitaufwand sehr hoch ist und erst der Vergleich mit anderen Messungen zu unterschiedlichen Leistungsausgaben Aussagekraft bringt.
2 Szenarien sind beim Protokoll mit konstanter Leistung denkbar:
- Überschreitet die abgefragte Leistung das individuellen Dauerleistungsniveau des Patienten / Sportlers, so erhöhen sich kontinuierlich die Herzfrequenz, Sauerstoffaufnahme, Lactatwerte und andere wichtige Leistungsmerkmale. Folge ist eine Erschöpfung des Probanden nach vergleichsweise kurzer Zeit.
Unterschreitet die abgefragte Leistung das individuelle Dauerleistungsniveau des Patienten / Sportlers , erhöhen sich anfänglich die Parameter (z.B. Herzfrequenz, Blutdruck usw.). Nach einer kurzen Adaptionsphase stabilisieren sich jedoch die biometrischen Parameter auf einem Plateauniveau. So kann der Proband über längere Zeit Leistung bringen.
3. Aktive oder passive Lageänderung:
Der Körper ist fähig, Veränderungen der Lage durch verschiedene Regulationsprozesse zu kompensieren. Besonders das Gehirn reagiert auf Blutdruckschwankungen empfindlich. So muss z.B. der Blutdruck erhöht werden, wenn man aus der Waagerechten in die Senkrechte wechselt. Jeder wird die Erfahrung gemacht haben, dass ein schnelles Aufstehen zu einem kurzen Schwindelgefühl führen kann. Dies liegt an einer kurzzeitigen Minderdurchblutung des Gehirns.
Diese Prinzip wird in der Medizin angewendet bei der Diagnostik von Synkopen, also Phasen plötzlicher Bewusstlosigkeit. Der Patient liegt gesichert auf einer speziellen Untersuchungsliege, es werden Puls und Blutdruck dokumentiert. Nach 15-minütiger Liegephase wird die Liege um 75° nach oben gekippt. Folge ein Blutdruckabfall durch das so genannte venöse Pooling, bei dem das Blut in den tiefen Beinvenen “versackt”. Menschen mit gestörten Regelmechanismen oder unter Einfluss von Medikamenten können in diesen Situationen nicht ausreichend gegensteuern und werden leicht bewusstlos (synkopieren). Bei gesunden Menschen tritt nur ein leichter Schwindel aus, dann passt sich der Körper jedoch rasch der neuen Situation an, ohne zu synkopieren.
Speziell langjährige, schlecht eingestellte Diabetiker weisen ein geschädigtes vegetatives Nervensystem auf, daher kommt es häufig zu Ohnmachten mit Sturz . Diese Synkopen sind dann orthostatischer oder vasovagaler Genese.
Datenanalyse:
Nachdem das geeignete Messprotokoll ausgewählt wurde können die Messungen miteinander verglichen werden.
Besonderer Fokus sollte darauf gelegt werden, dass jede Messung standardisiert durchgeführt wird.Dazu zählt auch, dass die Messungen jeweils zur gleichen Tageszeit erfolgen sollten, um den Einfluss der zirkadianen Rhythmik zu vermeiden. Anderenfalls kann es z.B. durch das tageszeitliche Schwanken des Kortiksolspiegels zu einer Verfälschung der Daten kommen.
Vor der Messung sollte in jedem Fall eine Ruhezeit eingeplant werden. Es können bereits 15 bis 30 Minuten ausreichen, um die Messfehler deutlich zu reduzieren. Diese Phase soll ausschließlich der Entspannung dienen, daher müssen sämtliche emotionalen Handlungen (dazu zählen auch Gespräche und Telefonate) vermieden werden.
Die Herzfrequenz ist ein sehr sensibler Parameter. Nahrungsaufnahme, psychovegetative Anspannung, Nikotinkonsum, koffeinhaltige Getränke, grippale Infekte und Medikamente (z.B. spezielle Blutdruckmedikamente wie Betablocker oder Thyroxin) können den Herzschlag maßgeblich beeinflussen. Deswegen sollten die soeben genannten Parameter zusammen mit den biometrischen Daten dokumentiert werden um im Nachhinein eventuelle Störfaktoren auszuschließen.
Die ideale Vorgehensweise ist, mehrere Messungen eines Probanden über einen längeren Zeitraum miteinander zu vergleichen. Dadurch lassen sich individuelle Trends besser erkennen. Zu Dokumentationszwecken ist es ratsam, jede einzelne Messung in einem standardisierten Tabellenblatt (z.B. MS Excel) festzuhalten.
Herzratenvariabilitätsanalyse:
Statistische Analyse:
Für die Auswertung der Herzratenvariabilität stehen eine große Zahl an statistischen Verfahren zur Verfügung. Als Grundlage der Analyse dienen die RR-Intervalle. Mithilfe einfacher arithmetischer Operationen kann die Analyse durchgeführt werden. Tabellenkalkulationsprogramme wie z.B. MS Excel sind für diese Berechnungen vollkommen ausreichend, es können aber natürlich auch Programme wie SPSS oder R zum Einsatz kommen.
Das Fazit vom Fitnessdoc
Die Herzfrequenzanalyse ist ein kompliziertes Thema, dass für Patienten und Profi- sowie sehr ambitionierte Sportler eignet. So lässt sich die Leistungsfähigkeit des Körpers ziemlich exakt bestimmen.
Dr. med. Ingo SChmitz-Urban
Arzt und Ernährungsmediziner