Das Wichtigste in Kürze:
- Das IARC wird Aspartam voraussichtlich am 14.07.23 als "möglicherweise krebserregend" einstufen.
- Grundlage werden sehr wahrscheinlich Hinweise aus tiermedizinischen Versuchen sein.
- Ein direkter Nachweis beim Menschen steht aus - es gibt allerdings Hinweise, dass ein Zusammenhang zwischen Krebs und Aspartam bestehen könnte.
- Diese Hinweise liefert zumindest eine französische Studie aus 2022.
- Empfehlenswert ist es, bei Produkten mit Aspartam zurückhaltend zu sein.
Warum das Thema in 2023 wieder so aktuell ist
Aspartam ist bereits über 50 Jahre bekannt und wird immer wieder im Zusammenhang mit einer möglichen krebserregenden Wirkung genannt. Wieso ist das so?
Wie bereits in meinem Artikel über Süßstoffe erwähnt, kam der erste Verdacht 2006 auf, dass Aspartam möglicherweise carcinogen (=krebserregend) sein könnte. In einer Studie konnte man bei Nagetieren nachweisen, dass bei sehr hohen Dosen Aspartam zu Leukämien, Lymphonen und Nierenzelltumoren führen kann (1). Wie gesagt, bei Nagetieren. Bei Menschen konnte dieser krebserregende Effekt von Aspartam nicht gezeigt werden.
Ende Juni 2023 machte dann eine Reuters-Nachricht Schlagzeilen, dass Aspartam von der WHO-Abteilung für Krebsforschung, International Agency for Research on Cancer (IARC) als "possibly carcinogenic to humans", also "möglicherweise krebserregend für Menschen" eingestuft würde.
Wichtig zu wissen: Die Eingruppierung "possibly carcinogenic to humans" mit 2B ist die zweitniedrigste, also direkt über "nicht als für Menschen karzinogen klassifizierbar".
Übrigens, mit der Kategorie 2B wäre Aspartam in der gleiche Einordnung wie beispielsweise Handystrahlung.
Welche Kriterien hat die IARC für die Entscheidung?
Die IARC gruppiert Substanzen in Gruppe 2B ein, wenn eins der folgenden Kriterien zutrifft (siehe Präambel):
- Begrenzter Nachweis der Karzinogenität beim Menschen
- Ausreichende Hinweise auf Karzinogenität bei Versuchstieren
- Starke Hinweise darauf, dass der Stoff wesentliche Merkmale von Karzinogenen aufweist
Es ist für die Klassifikation 2B also ausreichend, dass es Hinweise auf eine krebserregende Wirkung in Tierversuchen gibt, auch wenn dies beim Menschen nicht bewiesen ist.
Welches Kriterium das IARC genau für die Entscheidung hat, ist noch nicht bekannt, denn die offizielle Bekanntgabe erfolgt erst am 14. Juli 2023.
Welche Nachweise gibt es für die krebserregende Wirkung beim Menschen?
Ob Aspartam für Menschen krebserregend ist, ist nach wie vor fraglich.
Eine große französische Kohortenstudie aus 2022 konnte ein um 15% erhöhtes Risiko für Krebs bei hohem Konsum von Aspartam zeigen (2) - wie immer zeigen Kohortenstudien jedoch nur eine Korrelation und keine Kausalität. Demnach könnte auch ein anderer Grund für die erhöhte Krebsrate verantwortlich sein, als das Aspartam.
Warum die französische Kohortenstudie kein finaler Beweis ist
Um es nochmal ausdrücklich zu sagen: Kohortenstudien eignen sich sehr gut für die Hypothesenbildung, können jedoch keine Kausalität feststellen.
Woran liegt das?
- Kohortenstudien sind keine Experimente, d.h. man teilt nicht in zwei Gruppen Placebo vs. Aspartam auf.
- Die Teilnehmer werden außerdem nicht randomisiert, um sicherzustellen, dass sie sich in wichtigen Merkmalen nicht unterscheiden.
Stattdessen werden Personen über einen längeren Zeitraum beobachtet und nach ihrem Verzehr von Aspartam und anderen Variablen befragt. Dies ist so ziemlich der Standard in Studien über Aspartam am Menschen, da es unethisch ist, eine Gruppe zufällig auszuwählen, die über Jahrzehnte hinweg Unmengen von Aspartam täglich konsumiert, um zu sehen, ob sie Krebs entwickelt.
Das größte Problem ist, dass es Dutzende von Möglichkeiten gibt, wie sich Aspartam-Konsumenten von Menschen, die Aspartam meiden, unterscheiden können.
So könnten Aspartam-Konsumenten beispielsweise ein etwas höheres Risiko für Jo-Jo-Diäten haben, eine etwas schlechtere psychische Grundgesundheit aufweisen und viele andere, nicht erfasste Faktoren aufweisen. Dies sind alles Punkte, die theoretisch den Zusammenhang zwischen Aspartam und Krebs stören könnten. Es gibt zu viele unbekannte Faktoren, die nicht berücksichtigt werden können, so dass selbst das beste kontrollierte statistische Modell, das Aspartam mit Krebs in Verbindung bringt, unvollständig ist.
Und was ist wissenschaftlicher Konsens?
Wenn man den wissenschaftlichen Konsens sucht, orientiert man sich idealerweise an den Aussagen großer, renommierter Fachgesellschaften oder an systematisches Reviews.
Und wenn man in die Literatur schaut, sieht man, dass ein sehr aktuelles systematisches Review von Ende 2022 (3) zu dem Schluss kommt, dass es keine wissenschaftliche Evidenz dafür gibt, dass Aspartam beim Menschen sicher krebserregend ist. Es gibt Hinweise, aber keine Beweise.
Was bedeutet das nun alles?
Zusammengefasst kann man sagen, dass der voraussichtliche IARC-Beschluss höhere Wellen schlägt, als eigentlich notwendig ist.
Sehr wahrscheinlich hat es für die Lebensmittelindustrie Konsequenzen, wenn Aspartam wie angekündigt als "möglicherweise krebserregend" eingestuft wird, da die Konsumenten dann vermutlich Alternativen fordern und/ oder Produkte mit Aspartam meiden.
Der wissenschaftliche Hintergrund hat sich jedoch nicht drastisch geändert - nach wie vor sind es vor allem Tierstudien und eine Observationsstudie bei Menschen, die Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Aspartam und Krebs liefern. Bewiesen ist es damit beim Menschen noch lange nicht.
Meine Empfehlung wäre trotzdem, zurückhaltend bei Produkten mit Aspartam zu sein.
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Meine Empfehlung wäre, zurückhaltend bei Produkten mit Aspartam zu sein.
DR. MED. INGO SCHMITZ-URBAN
ARZT | TÄTIGKEITSSCHWERPUNKT ERNÄHRUNGSMEDIZIN
Die FDA klassifiziert die sichere Dosis von Aspartam übrigens bei ca. 20 Dosen Cola Light. So eine Menge wäre sicherlich nicht nur wegen des Aspartams, sondern auch wegen weiterer Zusatzstoffe bedenklich.
Und unabhängig von der Frage, ob Aspartam krebserregend ist, ist es letztlich ein Zusatzstoff, der nicht unbedingt benötigt wird.
Wer möglichst gesund viel für seine Gesundheit tun möchte, sollte bei Lebensmitteln mit Zusatzstoffen (dazu gehören natürlich auch die Süßstoffe) möglichst selten zugreifen.
Das Fazit vom Fitnessdoc
Die voraussichtliche Einstufung als "möglicherweise krebserregend" schlägt hohe Wellen - aufgrund der bereits 2006 erschienenen Studien mit Nagetieren kommt diese mögliche Einstufung zumindest nicht ganz überraschend.
Letztlich ist beim Menschen nicht bewiesen, dass Aspartam krebserregend ist, es gibt jedoch zumindest vage Hinweise auf einen Zusammenhang. Wer bewusst mit seiner Gesundheit umgeht, sollte Produkte mit Aspartam daher möglichst selten konsumieren.
Dr. med. Ingo SChmitz-Urban
Arzt | Tätigkeitsschwerpunkt Ernährungsmedizin
Danke für die ausführliche Aufklärung! In den Medien wurde das Thema ja geradezu zerrissen! Ich bin dankbar, wenn gesundheitliche Themen objektiv mit Pro und Contra aufgearbeitet werden. Danke für Ihre Arbeit!
Danke für Ihr Feedback!